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Bergführer Hermann Opatz

MENSCH. VORBILD. IKONE. Bergführer Hermann Opatz ist fester Bestandteil und verbindendes Element der Alpinhistorie in Reit im Winkl und im Kaisergebirge. Vier Generationen junger Reit im Winkler formte er zu Kletterern. Seit 1961 führt er über jede seiner zahlreichen Touren Buch und kennt noch heute die Griffkombinationen berühmter Klassiker auswendig. Da überrascht es nicht, dass er zwar nie einen seiner Geburtstage feierte, sein 50-jähriges Kletterjubiläum jedoch umso ausgelassener. Versuch einer Annäherung.

Einordnung

Unser jüngstes Aufeinandertreffen liegt noch nicht lange zurück, erst beim Glapfzoo Kletterfestival 2023 kreuzten sich unsere Wege wieder einmal. Auch mit Ende 70 ließ er es sich nicht nehmen, die Kletterschuhe anzuziehen und das neue Klettergebiet am Liebberg anzutesten. Sofort fühlte ich mich in meine Jugend zurückversetzt – Hermann der Bergführer und ich einer seiner Schüler – beim Klettern neuer Routen und Schwierigkeitsgrade. Mit seinen wachen Augen, perfekt aufrechter Haltung und akkuratem Haarschnitt strahlt Hermann noch immer das Selbstverständnis und die alpine Souveränität eines Bergführers aus. Mit ruhigen, kräftigen Zügen bewegt er sich am Fels, Resultat jahrzehntelanger Übung.

An diesem Tag meinten Marinus Höflinger und Florian Maier zu mir: „Hannes, wenn du über uns ein Porträt schreibst, dann musst du auch eines über den Hermann schreiben. Keiner hat das Klettern in Reit im Winkl so nachhaltig geprägt wie er.“

Natürlich haben die Beiden Recht. Ich bin sehr froh, dass ich Hermann Mitte August 2023 zu einem Gespräch bei ihm zu Hause treffen darf. 17:00 Uhr ist vereinbart und wer Hermann kennt, der weiß, dass spätestens eine halbe Stunde vorher alles gerichtet sein sollte. In den folgenden drei Stunden unseres Gesprächs erhalte ich Einblicke in das Leben eines außergewöhnlichen Bergsteigers und eines großartigen Menschen.

Hermann Opatz auf Skitour
Hermann Opatz beim Skitourengehen in den Kitzbühler Alpen

Die Welt aus den Angeln heben

Hermann ist ein Getriebener im positiven Sinne. Sein unbändiger Wille gepaart mit einer schier endlosen Energie sind wesentliche Merkmale seiner Art des Bergsteigens. In die Wiege gelegt war dies jedoch nicht. Erst mit 15 Jahren stieß er ohne jegliche Klettererfahrung zur Bergwacht Reit im Winkl. In der späten Hochzeit des technischen Kletterns machte Hermann die ersten Schritte in der Vertikalen. „Gefangen“ in den Stilen und Möglichkeiten der damaligen Zeit fühlte er sich wirklich frei. Zu Klettern bedeutet für ihn unabhängig zu sein, wild und ungestüm, Ausbruch aus der Realität des Alltags. Mit viel Trainingshärte und unbedingtem Willen erarbeitete er sich Stück für Stück eine neue Welt, die in den folgenden Jahrzehnten zu seiner neuen Heimat wurde. Während des Wehrdienstes machte er die Ausbildung zum Heeresbergführer und danach zum zivilen Bergführer.
Es war ein steiler Aufstieg in der damaligen Zeit und ohne einen gewissen Fanatismus wäre der erfolgreiche Abschluss der Ausbildung nicht möglich gewesen. Hermann fasst dies so zusammen:

Hermann Opatz über die Bergführerausbildung

„Der Weg in die Westalpen war für mich damals zu weit und auch nicht finanzierbar. Auf die Hochtourenkurse in der Bergführerausbildung konnte ich mich nur zu Hause vorbereiten. Die steilen Grashänge am Hausbach wurden zu meiner Trainingsstrecke. Ich belud meinen Rucksack mit 15 Kilo Zusatzgewicht und übte an den steilen Leiten die verschiedenen Steigtechniken mit Steigeisen. Dabei erkannte ich, dass zwei kurze Pickel besseren Halt bieten als ein langer Steigpickel, der damals noch üblich war. So kam ich zwar ohne Westalpenerfahrung, dafür aber körperlich und technisch überlegen zum Prüfungskurs nach Chamonix.“

Zwei Jahre lang arbeitete Hermann hauptberuflich als Bergführer. Die größte Herausforderung dabei war wohl sein persönlicher Ehrgeiz, den er auf geführten Touren nicht ausleben konnte. Ein ums andere Mal stand er vor den schönsten Flanken, unter Graten und Gipfeln und konnte trotz bester Verhältnisse nicht hinauf. Sein überlegenes Eigenkönnen durch jahrelanges Training konnte er mitunter nur schwer im Zaum halten. Nach einer durchfrorenen Nacht mit Notbiwak in Südtirol und einer weiteren negativen Erfahrung am Christaturm – beide Male ausgelöst durch Selbstüberschätzung seiner Gäste – beschloss er, seine Kletterpartner in Zukunft nur noch selbst auszuwählen. Etwa zur gleichen Zeit vollzog sich auch der Wechsel vom technischen Klettern hin zum Alpinklettern in seiner heutigen Form. Gemeinsam mit seiner Ehefrau führte Hermann fortan und bis zur Pensionierung einen Friseurbetrieb in Reit im Winkl. Sportklettern in Klobenstein an den Samstagen, Alpine Touren im Kaisergebirge an den Sonntagen, harte Trainingseinheiten während der gesamten Woche. Berge waren und sind Fixpunkte, Sehnsuchtsorte und Freiräume im durchgetakteten Alltag. Die Klimmzugstange in der Türe zwischen Salon und Wohnung vervollständigt dieses Bild.

Selektive Eleganz - Eine neue Art zu Klettern

Der Verzicht auf technische Hilfsmittel wie Leitern oder Tritthaken war zusammen mit der Einführung des Alpinstils im Höhenbergsteigen die letzte große Revolution im Alpinismus. Alte Gewohnheiten galten nicht mehr und so mancher Konflikt zwischen den Vertretern der verschiedenen Philosophien wurde offen ausgetragen. In wenigen Jahren änderten sich das Selbstverständnis und Selbstbild einer ganzen Bergsteigergeneration. Klettern in seiner reinsten Form wurde fortan zum Maßstab, der eine ganz neue Technik erforderte. Der Fels wird nicht mehr überwunden, sondern seine Struktur mit den Händen gelesen. Aufgepumpte Oberarme versus Griffkraft und Agilität. Was hier überspitzt als Gegenpaar dargestellt wird, war in Wirklichkeit ein fließender Übergang. Es bot schlicht Vorteile das neue Material und die leichtere Ausrüstung zu verwenden.

Weite Hakenabstände gab es im Wilden Kaiser schon immer. Doch von nun an galt es, diese Hakenabstände frei kletternd zu überwinden. Eine „Beinahe Katastrophe“ in dieser Zeit wurde für Hermann zu einem Schlüsselerlebnis seiner Kletterer Vita:

Hermann Opatz beim Klettern im Wilden Kaiser
Cassin am Piz Badile, der fünf klassischen Nordwände

„Wir waren an der Kleinen Halt im Wilden Kaiser unterwegs und wussten nicht, dass der Erstbegeher der geplanten Tour den 7. Grad frei klettern konnte. Die Schlüsselstelle der Tour war kurz vor dem zweiten Standplatz oberhalb eines langen Risses. An der schwierigsten Stelle stürzte ich als Seilerster. Über 35 Meter fiel ich die Wand hinab. Nur ein zusätzlicher Haken, den wir am unteren Stand platziert hatten, verhinderte einen tödlichen Seilschaftssturz.“

Schicksal?

Über die Jahrzehnte gibt es wohl in jeder Bergsteigerbiographie Touren, die einen bösen Verlauf hätten nehmen können.

Ist es Glück, dass Hermann am Stand einen zweiten Haken setzte? Ist dieser Umstand seiner Ausbildung zum Bergführer zu verdanken, die sein Sicherheitsdenken beeinflusste? Oder ist es Instinkt, der ihn dazu veranlasste?

Vielleicht waren es auch andere Umstände, unsere Entscheidungen werden so häufig aus ganz unterschiedlichen Richtungen gesteuert. Sicher ist, dass jede nachfolgende Tour direkt oder indirekt durch diesen Verhauer beeinflusst wurde

Kletterpartner - Funktionale Gemeinschaften im emotionalen Kontext

Über die Jahre wechselten die Kletterpartner von Hermann. Manche Partner aus früheren Tagen hörten auf, traten kürzer oder wollten nicht mehr so viel Zeit in das Training investieren. Dafür kamen neue Partner hinzu: Junge, unerfahrene Kletterer suchten die Expertise des großartigen Allrounders für neue Abenteuer. Und Hermann konnte immer öfter mit den „Young Guns“ Touren am oberen Limit der klettertechnischen Schwierigkeit unternehmen. So war es von wechselseitigem Vorteil, die „Jungen“ mit auf Tour zu nehmen. Zahlreiche Erstwiederholungen alpiner Klassiker im Kaisergebirge, in den Berchtesgadener Alpen, an der Steinplatte und der Loferer Alm stehen in seinen Tourenbüchern. Über die Jahre brachte Hermann auf diese Weise zahlreichen Reit im Winklern das Klettern bei. Ein wichtiger Beitrag zur Nachwuchsarbeit der Bergwacht, des Alpenvereins und der HG Klobenstein. Dieser unsichtbare Einfluss wird heute sichtbar. Die aktive Klettergemeinschaft ist gerade dabei, die verloren geglaubten Klettergebiete aus den Anfangszeiten des Kletterns in Reit im Winkl wiederzubeleben. Dabei entdecken sie alte Haken und legen Touren frei, an denen Hermann vor über 50 Jahren bereits für seine Touren trainierte. So wie beispielsweise in der Klausenbachklamm früher mit Leitern der mächtige Überhang überwunden wurde, wird heute frei geklettert. Jede Generation hat ihre Möglichkeiten und Regeln. Seilschaften haben immer eine funktionale und eine emotionale Komponente. Funktional sind es Sicherheitsgemeinschaften, die sich gegenseitig helfen und unterstützen. Emotional teilen Seilschaften die gleichen Erfahrungen und Erlebnisse – positive wie auch negative. Hermann machte es nichts aus, jüngere Bergsteiger mit auf Tour zu nehmen und ihnen das Alpinklettern beizubringen. Mit der Gelassenheit durch jahrzehntelange Erfahrung kann er die Möglichkeiten und das Verhalten seiner Begleiter gut einschätzen. Eine Gabe, die ihm und seinen Begleitern viele schöne Erlebnisse bescherte.

Hermann Opatz beim Skitourengehen in den Chiemgauer Alpen
Hermann Opatz auf Skitour am Dürrnbachhorn

Winter wie Sommer unternahm er Ausflüge in nahe und ferne Gebiete. Denn auch auf Skitour gilt Hermann als erfahrener Bergkamerad, der noch immer einen guten Schnee finden konnte. Es verwundert wohl nicht, dass spätestens mit dem Herbstanfang die neue Saison akribisch vorbereitet wurde: Bergläufe, Treppenläufe, Rennradtouren und Fitnessübungen dienten dazu, bestens vorbereitet in die neue Saison zu starten. Die vielen Klettermeter sind natürlich trotzdem nicht spurlos vorbeigegangen und einige Verletzungen wurden nicht richtig auskuriert. Dennoch: Dass Hermann mit 78 Jahren noch immer mit Freude klettern und sich für das Tun der Jungen begeistern kann, ist wiederum Vorbild und Anreiz zugleich. Ein Bergführer bleibt eben doch ein Bergführer, auch wenn er seine Kletterpartner selbst wählt. Am Hausbachfall Klettersteig zählt Hermann über 500 Durchsteigungen. Es ist noch immer ein innerer Antrieb, seinen Körper fit zu halten und sich in den Bergen zu bewegen. Und dennoch ist es mehr, was Hermann in den Bergen findet – es ist Heimat, ganz gleich wo der Berg steht.

Hermann Opatz auf Skitour
Hermann Opatz auf Skitour

Lieber Hermann, vielen Dank für das Gespräch!

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Fotocredit: Josef Heigenhauser